Sturmflut an der Usedomer Küste

Natur Naturpark Insel Usedom Sturmflut an der Usedomer Küste

Feriengäste, die Mitte Oktober 2009 auf der Insel Usedom ihren Ostsee-Urlauber verbrachten, konnten einen Herbststurm erleben, wie ihn selbst einheimische Usedomer nicht jedes Jahr zu spüren bekommen. Unser Autor Dirk Weichbrodt zieht eine Bilanz des bisher schlimmsten diesjährigen Sturms auf der Insel Usedom und gibt einen Einblick in die Hintergründe des Küstenschutzes.

Schon seit Tagen drückte der anhaltende Wind die Ostsee gegen die pommersche Küste. Erst von West kommend, dann mit zunehmender Stärke allmählich auf Nord drehend, lässt er Swine und Peenestrom „rückwärts“ fließen. Im Stettiner Haff steigt das Wasser langsam, aber stetig. Am 13. Oktober 2009 abends erreicht der Nordwind über der Pommerschen Bucht die Stärke 7 und bläst unvermindert heftig die Nacht hindurch. Weiter östlich, über Ostpommern und der Danziger Bucht, tobt der Sturm schon mit 130 km/h - Orkanstärke. Der 14. Oktober beginnt im polnischen Fernsehen mit Katastrophennachrichten aus den nördlichen und östlichen Landesteilen. Heftiger Schneefall bis nach Warschau wird gemeldet, Strommasten knicken wie Streichhölzer, zehntausende Haushalte sind ohne Strom. In der Weichselniederung bei Elbing brechen die ersten Deiche. Drei Menschen erfrieren im Schneesturm.

Der Deutsche Wetterdienst gibt am Mittwoch, den 14. Oktober 2009 in den Morgennachrichten eine Unwetterwarnung bekannt. Für die vorpommersche Küste werde in den Abendstunden eine Sturmflut erwartet, keine schwere zwar, aber Wasserstände von 1,5 Meter über normal seien möglich. Mit den höchsten Wasserständen werde in der Nacht zum 15. Oktober gerechnet. In Swinemünde wird um 18.00 Uhr der Fährverkehr am Anleger „Kaseburg“ eingestellt. Die Stadtfähre hält mühsam die Verbindung aufrecht. Die Brecher der Swine schlagen aufs Bollwerk am Bahnhof in Ostswine. Die Auffahrt zur Fähre ist wegen des Hochwassers so steil, dass PKW sie kaum noch passieren können.

Das für die Nacht erwartete Hochwasser trifft mit einigen Stunden Verzögerung am Donnerstag Morgen auf die Usedomer Küste. Am Strand reißen die Wellen Sand, Steine und Lehm aus den Steilufern. Auch die Dünen entlang der Außenküste verlieren auf langen Strecken Boden. Und obwohl dieses Hochwasser später nur als leichte bis mittlere Sturmflut eingeschätzt wird, sind die Auswirkungen an der Binnenküste deutlich stärker. Der Einstrom des Ostseewassers erfolgt hier wegen der schmalen Zuflüsse von Peenestrom, Swine und Dievenow zwar langsamer, die Pegelstände sinken aber durch das verzögerte Abfließen auch wesentlich später als an der Außenküste. Drückt dazu der Nordwind noch dauerhaft gegen die Küste, wächst die Gefahr eines Dammbruchs mit jeder Stunde.

Im Haff wurden an diesem 15. Oktober 2009 die höchsten Wasserstände der vergangenen 150 Jahre gemessen, der Pegel erreicht 6,25 m. Das sind 9 Zentimeter mehr als am 4. November 1995, als im Anklamer Stadtbruch der Deich brach, und große Teile des Niedermoores überschwemmt wurden.

Zwar sind die Ufer von Haff, Achterwasser und Peenestrom meist von breiten Schilfgürteln geschützt, die den Wellen die Kraft nehmen. Das tagelange Ansteigen des Wassers jedoch hat die Deiche durchweicht. Viele dieser Deiche schützen landwirtschaftliche Flächen und sind ungleich niedriger als die Deiche an der Außenküste. Zudem wurden sie oft auf Torfboden errichtet und entsprechen in ihrem Aufbau meist nicht den so genannten Deichen 1. Ordnung, die zum Schutz von Siedlungen, Straßen oder Schienen angelegt wurden. Am Deichfuß sickert das Wasser nach einigen Tagen auf vielen Stellen durch die ganze Breite des Dammes. Es findet es seinen Weg umso leichter durch die Gänge von Maulwurf und Wühlmaus. Kommen dann noch die oft genug „wilden“ Übergänge hinzu, oder sogar Fahrspuren von Autos besonders aktiver Zeitgenossen – oft genug Einheimische! – dann hat das Wasser leichtes Spiel. An vielen Stellen entlang der Usedomer Binnenküste war das Wasser dabei, den Verlauf der Küstenlinie neu zu bestimmen. Und an einigen Orten hat das Wasser das Gesicht der Landschaft praktisch über Nacht verändert.

Nahe der Stadt Usedom riss der Wellenschlag eine Bresche in den Deich und am 15. strömte das Wasser in die Wiesen. Nur mit Mühe konnte ein Deichbruch verhindert werden, der Siedlung und Straße gefährdet hätte. Auch bei Loddin geriet der Deich an der Melle in Gefahr, Grund dafür war die unzureichende Statik, die ihn am Deichfuß erschütterte. Am deutlichsten ist die Kraft des Wassers an zwei Stellen zu sehen: im Usedomer Winkel, zwischen Zecherin und Kölpin, ist der Deich am Vormittag des 15. auf mehreren Stellen überflutet worden. Die Wassermassen haben weite Teile des 90 Hektar großen Polders geflutet.

Zwischen Balm und Neppermin ist das Achterwasser über den Radweg und die Verbindungsstraße in das angrenzende Grünlandgebiet gedrungen. In dem Niedermoorgebiet, das sich bis an das Naturschutzgebiet „Mellenthiner Os“ erstreckt, ist seitdem ein flacher See von fast 100 Hektar Größe entstanden. Am auffälligsten aber ist die weite Wasserfläche, die sich seit Wochen auf dem Festland vor der Zecheriner Brücke erstreckt. Obwohl die Wasserstände wenige Tage nach der Sturmflut wieder zurückgingen, sinkt das Wasser nur sehr langsam oder es bleibt auf den überschwemmten Flächen stehen. Hier sind zum großen Teil Flächen überschwemmt worden, die zum Peenetalmoor gehören, und deren Renaturierung ohnehin geplant ist. Im Gegensatz zu den Flächen auf der Insel Usedom wird das Wasser hier nicht abgepumpt werden.

Neben diesen großflächigen Überstauungen gibt es auf der Insel Usedom mehrere Stellen, an denen das Hochwasser kleinere Schäden verursacht hat. So zum Beispiel in Netzelkow, wo der landwirtschaftliche Deich umspült wurde, bei Warthe, wo das Wasser den Deich beschädigte, oder bei Morgenitz, wo die Umwallung des Krienker Sees auf mehreren Metern überspült wurde.

Sturmflut Insel UsedomWie kann so viel Wasser in so kurzer Zeit die Pegel in Haff und Peene auf Höchststände steigen lassen, wenn dies noch nicht einmal eine schwere Sturmflut war? Natürlich hatte Tage zuvor der Wind aus nördlichen Richtungen den Ausstrom aus dem Haff in die Ostsee gebremst und schließlich umgekehrt. Überraschend ist trotzdem die Geschwindigkeit, mit der dann vom 14. zum 15. Oktober Rekordmarken im Haff erreicht wurden. Eine Erklärung ist die Ausbaggerung des nördlichen Peenestromes Mitte der 1990er Jahre. Um größere Schiffe aus der Wolgaster Werft in die Ostsee zu bringen, wurde der Strom vertieft. Anwohner und Fischer berichten, dass seitdem das Hochwasser aus der Ostsee wesentlich schneller und heftiger als vorher die Peene bis nach Anklam und das Haff erreicht. Diese Beobachtungen leuchten ein: wird der Durchmesser einer Wasserleitung vergrößert, kann mehr Wasser in kürzerer Zeit die Strecke zurücklegen. Das Haff muss dann als „Rückhaltebecken“ diese eindringenden Wassermassen auffangen – mit Deichen, die dafür nicht ausgelegt sind.

Das Hochwasser ging nach einigen Tagen wieder zurück, einzig die überschwemmten Wiesen hinter den überfluteten Deichen blieben als große Wasserflächen zurück. Was war geschehen, warum stand das Wasser hier teilweise meterhoch?

Bei der Betrachtung unserer Küste an Strom und Haff darf man nicht vergessen, dass es sich bei den in Wassernähe liegenden Wiesen und Weiden fast immer um Niedermoore handelt, die vor ihrer Eindeichung jahrhundertlang regelmäßig, ja nahezu alljährlich, überflutet wurden. Oft mehrfach im Jahr stieg das Hochwasser auf diese Flächen, die deshalb als Küstenüberflutungsmoore bezeichnet werden. Ihre Nutzungsgeschichte und ihre Landeskultur sind eng mit der Geschichte unseres Landes und seiner Besiedlung verbunden. Die wachsende Bevölkerung seit Mitte des 19. Jahrhunderts erforderte eine steigende Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion. Die bis dahin kaum oder nur mit geringer Intensität genutzten Niedermoore wurden mit flachen Sommerdeichen gegen Überschwemmungen zur Zeit der Heuernte und des Viehweide geschützt. Die Überschwemmungen im Winter störten die Landwirtschaft kaum, das Vieh war zu dieser Zeit aufgestallt, das Heu trocken in der Scheune gelagert. Zumindest im Winterhalbjahr waren somit naturnahe Wasserstände normal. Das eigentliche Dilemma der landwirtschaftlichen Nutzung dieser Moorflächen begann nach dem 2. Weltkrieg. Mit dem Bau höherer Deiche und der massiven Entwässerung der Moore sollte eine deutlich gesteigerte Produktion erreicht und abgesichert werden.

Zuerst schien dieses Vorhaben zu gelingen. Moore wurden trockengelegt, gepflügt, mit leistungsstarken Gräsern angesät. Die Agrargroßbetriebe setzten synthetische Dünger ein. Nun konnte dreimal im Jahr Gras geerntet werden, wo vorher nur ein Schnitt möglich war. Die Produktion von Futter, Rindfleisch, Milch und Butter schnellte nach oben. Man hatte die Natur „in den Griff bekommen“!

Aber Moorböden bestehen aus Torf. Und Torf ist ein sehr empfindliches Material. Torf besteht zu 95% aus Wasser. Torf lebt nur unter Zufuhr von Wasser, noch besser sind regelmäßige Überschwemmungen, damit sich die vielen kleinen Hohlräume im Torf mit Wasser füllen können. Wird Torf - also der Moorboden – entwässert, dringt Luft in diese Hohlräume. Chemische Reaktionen setzen ein, die nur unter Zufuhr von Sauerstoff ablaufen können. Der Torf wird mineralisiert, er sackt zusammen. Risse entstehen, in denen Luft in tiefere Bodenschichten gelangt, und damit diese Mineralisierung noch beschleunigt. Das Ergebnis: entwässerte Moore sacken pro Jahr 1 – 2 Zentimeter in sich zusammen. Je mächtiger die Torfschichten, umso schneller läuft dieser Prozess ab. Wissenschaftler haben frühzeitig auf diese Probleme hingewiesen. Aber die Warnungen passten nicht in die „politische Landschaft“ und schon gar nicht zum Wettbewerb in der „sozialistischen Landwirtschaft“.

Heute haben wir auf Usedom wie auch im ganzen Land Moore, die seit 1960 zwischen 50 und 80 Zentimeter Höhe verloren haben. Sie liegen wie Schüsseln in der Landschaft, geschützt von dünnen Deichen und entwässert von Schöpfwerken mit steigenden Energiekosten. Für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sind diese Flächen längst nicht mehr bedeutsam. Im Gegenteil, heute ist ein anderer Fakt bedeutsamer denn je: Inzwischen weiß man, dass entwässerte Moore massiv Kohlendioxid freisetzen, und zwar 15 – 20 Tonnen CO2 je Hektar und Jahr bei landwirtschaftlicher Nutzung. Hinzu kommen große Mengen des besonders klimarelevanten Lachgases. Lebende, also wachsende Moore hingegen binden bis zu 1,6 Tonnen Kohlenstoff im Jahr aus der Atmosphäre.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat bereits im Jahr 2000 ein Moorschutzprogramm verabschiedet, um die durch Entwässerung geschädigten Moore zu renaturieren. Seit dem wurden Tausende Hektar dieser Flächen in Mecklenburg-Vorpommern wieder vernässt. Anblicke, wie wir sie nach dem 15. Oktober auf und um Usedom herum sehen, werden also in den nächsten Jahren häufiger werden. Mit dem Wissen um die Leistung der Moore für Klima und Natur dürfte dieser Anblick vielleicht auch einige Kritiker versöhnen, die entwässerte Moore für „unberührte“ oder „reizvolle Natur“ halten!

Text: Dirk Weichbrodt

Foto: © Karin Höll

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