Der Peenemünder Haken als Nationales Naturerbe

Der Peenemünder Haken als Nationales Naturerbe Der Peenemünder Haken als Nationales Naturerbe

In vielen Hochglanzbroschüren der Tourismuswirtschaft werden die Naturschönheiten der Insel Usedom angepriesen, um zahlungskräftige Besucher anzulocken. Hotels und Tourismusbetriebe rühmen Jahr für Jahr die „unberührte Natur“ Usedoms, die es zu entdecken gilt. Auf der Insel Usedom gibt es keine unberührte Natur mehr! Die Insel Usedom ist eine Kulturlandschaft, die seit Jahrhunderten von der wirtschaftlichen Nutzung durch den Menschen geprägt wird. Diese Nutzung hat eine Landschaft entstehen lassen, die zu fast 100 Prozent von der Land- und Forstwirtschaft, Verkehrswegen, Siedlungen und zunehmend vom Tourismus geformt wurde. Wir können heute bestenfalls zwischen Gebieten unterscheiden, die mehr oder weniger intensiv genutzt werden. Letztere werden aber immer seltener, drängen doch die wirtschaftlichen und baulichen Aktivitäten immer weiter in die abgelegenen und unverbauten Bereiche vor. Technisch erscheint uns heute alles machbar, und die zaghafte Einsicht, auf Usedom wohl doch schon an die Grenzen des Möglichen zu stoßen, endet dann spätestens an der Dorf- oder Gemeindegrenze. Und was, wenn kein Platz mehr auf der Insel ist? Dann geht man eben ins Wasser, oder, ganz zeitgemäß und „modern“ ausgedrückt, „off shore“, und plant einen gigantischen Hafen in der Ostsee vor der Insel - gar „ein neues Abu Dhabi vor Heringsdorf“(Zitat Usedomkurier vom 24.3.2011). Größenwahn pur!

(Anmerkung der Redaktion 2020: Das Hafenprojekt an der Außenküste wurde endgültig verhindert)

Betrachtet man diese Entwicklung, die in den letzten Jahren eine neue Dynamik erreicht hat, dann stellen sich einige Zeitgenossen doch schon die Frage, wie lange wir so noch weitermachen können, oder aber wollen? Vor diesem Hintergrund erscheint die Erhaltung und Bewahrung einiger landschaftlich besonders schöner Teile der Insel Usedom umso wichtiger.

Natur Insel UsedomIm Norden Usedoms, am Peenemünder Haken, findet derzeit eine Entwicklung statt, die der eben genannten Dynamik des Landschaftsverbrauchs Einhalt gebieten will. Auf einer Fläche von 2.643 Hektar wird eine Küstenlandschaft geschützt , die in Mitteleuropa tatsächlich ihresgleichen sucht. Nicht von ungefähr wurden große Teile dieser Landschaft schon 1925 als „Brut- und Raststätten der Vögel zum Naturschutzgebiet erklärt“. Damit entstand an der Nordspitze Usedoms das erste und lange Zeit eines der größten Schutzgebiete an der pommerschen Küste. Erst mit der Gründung der Nationalparke 1990 wurden erneut große Küstengebiete unter Schutz gestellt. Der Peenemünder Haken wurde 60 Jahre lang militärisch genutzt. Die Natur wurde dabei zum Teil großflächig zerstört, durch die Sperrung für die Öffentlichkeit blieben Teile dieser Naturräume aber auch vor anderen Nutzungen bewahrt. So konnte sich dort - fernab des Tourismus - eine ungewöhnliche Vielfalt an Lebensräumen, Tieren und Pflanzenarten halten, die an anderen Bereichen der Ostseeküste längst verschwunden ist.

Eigentümer dieser, wie auch vieler anderer Militärflächen, die ihre Funktion verloren haben, ist die Bundesrepublik Deutschland. Die Aufgabe der militärischen Nutzung durch den weitgehenden Abzug der Siegermächte in den vergangenen 20 Jahren ist die Hauptursache für das „Freiwerden“ der Flächen. Eine Privatisierung dieser Gebiete hätte für viele wertvolle Naturräume das Aus bedeutet. Die Naturschutzverbände erkannten rechtzeitig die Bedeutung dieser Flächen und die Möglichkeit, diese langfristig zu sichern. Es bot sich die vielleicht letzte Chance, großflächig Lebensräume zu sichern und ihre natürliche Entwicklung zuzulassen.

Gemeinsam mit dem Bund wurde nach Möglichkeiten gesucht, diese Flächen dem Naturschutz zu widmen. In den Jahren 2005 und 2009 beschlossen die damaligen Bundesregierungen insgesamt 125.000 Hektar wertvolle Naturschutzflächen den Bundesländern, Stiftungen oder den Naturschutzverbänden zu übergeben. Diese Flächen liegen verteilt über ganz Deutschland. Der Name „Nationales Naturerbe“ als Sammelbegriff, charakterisiert die Bedeutung dieser großen Naturentwicklungsgebiete am besten. Gebiete ohne menschliche Nutzungen sind rar in Deutschland, eigentlich sind sie nur in den Nationalparks zu finden. Und selbst dort ist es mit großen Schwierigkeiten verbunden, bestehende Nutzungsansprüche zu begrenzen.

Natur Insel UsedomMehr als ein Drittel dieser Flächen aus dem Besitz des Bundes, nämlich rund 46.000 Hektar, hat die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) übernommen, um sie dauerhaft für den Naturschutz zu sichern. Dazu zählt auch der Peenemünder Haken. In Übereinkunft mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sollen auf den Flächen des Nationalen Naturerbes die Naturschutzziele eindeutig den Vorrang haben. Diese Ziele wurden in Leitbildern für die Entwicklung der einzelnen Gebiete verbindlich formuliert. Große Teile der von der DBU übernommenen Flächen gehören als FFH (Flora-Fauna-Habitat) - Gebiete bereits zum Netz der europäischen Schutzgebiete „NATURA 2000“. Schon dies ist ein Hinweis auf ihren hohen ökologischen Wert. Dadurch besteht für das Mitgliedsland bereits die rechtliche Verpflichtung, alle geschützten Biotope und die darin vorkommenden Arten in ihrem Zustand zu erhalten.

Zum Nationalen Naturerbe an der Peenemündung gehören drei Teilbereiche. Auf der Insel Ruden sind wertvolle naturnahe und halbnatürliche Pflanzengesellschaften zu finden. Dazu zählen der Dünenkiefernwald, Trocken- und Dünenrasen, sowie Salzwiesen. Der zweite zusammenhängende Komplex ist die Halbinsel Struck westlich der Peenemündung. Hier bestimmen großflächige Salzwiesen das Bild. Der größte Teil des Gebietes ist aber der Peenemünder Haken selbst. Die ausgedehnten Flachwasserbereiche mit einer ungestörten Küstenentwicklung sind an der deutschen Ostseeküste sonst nur noch im Vorpommerschen Nationalpark, auf dem Darß und Zingst zu finden. Sandinseln, Dünenwälle und Brackwasserröhrichte zeichnen ein Bild, das sich grundlegend unterscheidet von der sonst beinahe lückenlos touristisch genutzten Usedomer Außenküste. Landseitig gehen die Restbestände einst viel größerer alter Eichen- und Buchenwälder über in Nadelwälder gleichen Alters, dominiert von Kiefern. In Richtung Peenestrom schließen sich Grünlandflächen an. Es sind ehemalige Küstenüberflutungsmoore, die durch die Eindeichung im vorigen Jahrhundert ihren natürlichen Wasserzufluss verloren haben und heute durch die permanente Entwässerung bereits stark geschädigt sind. Viele der einst hier typischen Arten sind fast oder schon völlig verschwunden, die Pflanzen- und Tiergesellschaften sind stark verarmt - keine Spur also von „unberührter Natur“.

Auf den Naturerbe-Flächen am Peenemünder Haken soll schrittweise wieder die natürliche Entwicklung in Gang gesetzt werden, die vor 75 Jahren mit dem Bau der Heeresversuchsanstalt unterbrochen wurde. Der Erhalt der natürlichen, standorttypischen Waldgesellschaften, der Dünenkiefernwälder und der Moor- und Bruchwälder, ist dabei ebenso wichtig wie der Schutz der naturnahen Eichen- und Buchenwälder. Dazu zählt aber auch der Wandel artenarmer, monotoner Nadelwälder zu Misch- und Laubwäldern. Die Reduzierung des Schalenwildes soll eine Verjüngung des Waldes „ohne Zaun“ überhaupt erst ermöglichen. In den Wäldern wird zukünftig eine eigene Entwicklung zugelassen werden, zu der auch Schneebruch und Windwurf gehören. Jagd soll hier nur stattfinden, wenn sie zur natürlichen Entwicklung des Gebietes erforderlich ist. Außerdem wird sie auf die Zeit außerhalb der Paarung, Brut, Rast und der Aufzucht der Jungtiere beschränkt sein. Ein Konzept also, das es so auf Usedom noch nicht gegeben hat! Ein wichtiges Ziel ist die Schaffung und Erhaltung ruhiger, ausgedehnter Flachwasserbereiche - der sogenannten „Windwatten“ - für die Rast und Mauser der Wasservögel, aber auch für die an unsere Küste zurückkehrenden Kegelrobben.

Um den Cämmerer See herum sollen die Torfwiesen wieder zum Leben erweckt werden, die vor dem Krieg vom Wasser des Peenestromes abgeschottet wurden. Derzeit streitet sich die Politik darum, was hier den Vorrang haben soll: die Gesundung der geschädigten Natur oder die Ruinen der Nazi-Waffenschmiede. Die Diskussion um den Umgang mit unserem Naturerbe und unserem Kulturerbe wird weitergehen. Ob Ruinen aus Deutschlands schlimmster Zeit dabei das Zünglein an der Waage sein sollen, oder doch nur ein Vehikel zur Verhinderung dessen, was man partout nicht will, wird sich zeigen. Es wird auch zur Wegmarke dafür, ob das „Nationale Naturerbe“ seinen Namen verdient, oder zu den vielen sinnentleerten „Worthülsen“ der letzten Jahre hinzukommt.

Text: Dirk Weichbrodt

Foto: Fotos © Schröder (Kegelrobbe), Hans Snoek/pixelio.de (Alpenstrandläufer), Torsten Rempt/pixelio.de (Rehkitz)

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