Mümmelkensee

Im Jahre 1957 kam der junge Absolvent der Universität Greifswald, Claus Schönert, auf der Insel Usedom, um seine erste Stelle als Biologielehrer an der Heringsdorfer Schule anzutreten. Wie üblich, begann er, die Umgebung seiner neuen Heimat zu erkunden. Auf seinen Wanderungen durch die Küstenwälder der Insel Usedom entdeckte er einen kleinen See, umgeben von einem Moor, inmitten herrlicher Buchenwälder, unweit des Strandes. Begeistert berichtete er seinen Lehrerkollegen von dem Kleinod im Walde, um Näheres darüber zu erfahren. Allerdings, obwohl kaum eine Wegstunde von Bansin entfernt, kannte keiner von ihnen den kleinen Moorsee.

Nur zwei Jahre zuvor war der Biologe Lebrecht Jeschke aus Greifswald zum ersten Mal an diesen See. Sofort erkannte er das Einmalige dieses tief in die Moränenzüge eingekerbten Gewässers. Das Ufer des kaum einen Hektar großen Kolkes, des Moorsees, waren gesäumt von den Blüten der Gelben Teichrose, landläufig auch als Mummel bezeichnet. Im Plattdeutschen wurde daraus „dat Mümmelken“, jene Pflanze, die dem eigentümlichen Gewässer seinen Namen gab. Lebrecht Jeschke kartierte in jenem Sommer 1955 die Pflanzenwelt des Sees und des ihn umgebenden Moores. Somit entstand eine exakte Bestandsaufnahme der Pflanzengesellschaften und damit eine erste Zustandsbeschreibung des Gebietes.

Unterstützt von Claus Schönert, mündeten diese Untersuchungen in einen Antrag zum Schutz des Gebietes. Im Dezember 1957 wurde der Mümmelkensee vom damaligen Rat des Bezirkes Rostock zum Naturschutzgebiet erklärt. Ziel war damals wie heute „der Schutz und Erhalt eines unentwässerten Kesselmoores“.

Aber was ist eigentlich das Besondere an diesem See? Sicher, wer an einem Morgen im Frühsommer hierher kommt, wenn der Nebel über den See und das Schwingmoor liegt, wenn die weißen Fahnen der Wollgräser taunass herab hängen und die Wassertropfen an den Zweigen der Moorbirken und Kiefern in den ersten Sonnenstrahlen funkeln, der kann versuchen, das Erlebte in Worte zu fassen. Aber er hat ein Bild der Natur gesehen, wie man es nur noch selten in unserer überall genutzten und technisch erschlossenen Landschaft zu Gesicht bekommt. Um die Frage zu beantworten, lohnt es sich, den See und das Moor genauer zu betrachten.

Nordwestlich des Seebades Bansin haben die Gletscher der letzten Eiszeit eine Hügellandschaft geformt, die sich bis zu 55 Meter hoch über der Ostsee erhebt. Inmitten dieser dicht gestaffelten Endmoränenzüge blieben kleine Abbruchstücken des langsam nach Norden zurückweichenden Eises zurück. Diese vom Gletscher abgebrochenen Toteisblöcke drückten sich tief in den weichen Sandboden zwischen den Höhenzügen. Wassergefüllte Senken entstanden, die in den darauf folgenden Jahrtausenden vom Rand hin zur Mitte verlandeten. Es sind kleine Gewässer ohne Zu – und Abfluss, genährt nur von Regen und Schnee. Das Niederschlagswasser sickert aber nur langsam durch den Sandboden der umgebenden Hügel und sammelt sich am tiefsten Punkt. So gefiltert, erreichte nur sehr nährstoffarmes Wasser die langsam verlandende Moorsenke. Ein Hochmoor konnte entstehen, mit einer sehr speziellen Flora und Fauna, angepasst an extreme Lebensbedingungen. Nach seiner Entstehung nennt wird dieser Moortyp als Kesselmoor bezeichnet. In mehr als 10.000 Jahren, die seitdem vergangen sind, wuchsen Torfschichten im Moor, die an seinem Rand 4 Meter Mächtigkeit erreichen, im Innern der Senke aber 15 Meter stark sind.

Sonnentau Insel UsedomDieses Hochmoor hat einen anderen Charakter als die weiten Niedermoore am Haff und Peenestrom oder im Thurbruch. Dunkel liegt der Moorsee selbst an hellen Sommertagen, umgeben von einem Schwingmoor, das nach jedem Schritt bebt. Torfmoose anstelle von Schilf und Wasserpflanzen haben das Moor wachsen lassen. Birke und Kiefer müssen sich als anspruchslose Bäume die wenigen Nährstoffe im Boden teilen. Erle und Weide, die Gehölze des nähstoffreichen Niedermoores, sucht man hier vergebens. An die Stelle von Schwertlilie und Blutweiderich, die im Niedermoor ihre bunten Blüten zeigen, treten hier Wollgras und Sumpfporst. Blasenbinse und Fieberklee, verschiedene Seggenarten und das Heidekraut besiedeln das Schwingmoor. Hier ist einer der wenigen Orte auf Usedom, an denen die Krähenbeere gedeiht, ebenso selten ist die Rosmarinheide. Und noch eine Besonderheit birgt das Moor, den Rundblättrigen Sonnentau. Es ist jener merkwürdige Bewohner des Hochmoores, der vielen durch seine Lebensweise als „fleischfressende Pflanze“ sprichwörtlich bekannt ist, den aber kaum jemand aus freier Natur kennt, bestenfalls als domestizierte Pflanze aus dem Gartenmarkt.

Bedingt durch seine geringe Größe spielt das Moor als Lebensraum für Tiere nur eine untergeordnete Rolle. Neben den typischen Vertretern der Vogelwelt, wie Meisen, Laubsängern, Finken und Kleiber ist der Eisvogel regelmäßig Gast an dem kleinen See. Das nähstoffarme Wasser bietet nur kleinen Weißfischen Nahrung, diese wiederum locken den „fliegenden Edelstein“, auf den Sträuchern am Ufer auf Beute zu warten. Am ehesten verrät ihn sein schriller Pfiff beim Vorbeifliegen.

Der Mümmelkensee und das ihn umgebende Moor zählen zu den ganz wenigen Mooren Pommerns, die nie entwässert wurden, in denen nie Torf gestochen wurde und die wahrscheinlich nie landwirtschaftlich genutzt wurden. Die Entwicklung des Gebietes zu dokumentieren, ist deshalb um so wichtiger. Über Jahrhunderte war das Moor geprägt vom Wachsen und Absterben der Kiefern und Birken an seinem Rand. Niederschläge und Schneeschmelze füllten in unregelmäßigen Abständen die Senke soweit, dass die Bäume „nasse Füße“ bekamen und sich ein geschlossener Moorwald nur am Rand der Senke halten konnte. Noch nach dem Schneewinter 1978/79 war dieser über lange Zeiten wirkende Ausgleich im Moor zu sehen. So hatte sich ein gewisses „natürliches Gleichgewicht“ eingestellt (das es tatsächlich nirgendwo in der Natur wirklich gibt).

Seitdem jedoch ist eine zunehmende Bewaldung des früher baumfreien Schwingmoores zu beobachten. Seit etwa 30 Jahren wächst das Moor von den Rändern her mit einem dichten Bestand aus Kiefern und Birken zu! Charakteristische Arten der Moorflora wie der Porst verlieren an Raum. Die Porstbüsche dunkeln unter den Kiefern aus, der Platz für Wollgras, Torfmoos und Sonnentau wird immer kleiner.

Über die Ursachen wurde lange gerätselt. Fachleute trafen sich am Moorsee, die hydrologischen Verhältnisse wurden untersucht. Sicher ist heute, das es nicht nur eine Ursache für die Veränderungen der Moorvegetation gibt. Die Messungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass der Klimawandel bereits im Gange ist. Die Durchschnittstemperatur steigt – wenn auch für uns noch unmerklich, gleichzeitig nehmen die Niederschlagsmengen gegenüber dem langjährigen Mittel ab. Höhere Verdunstung einerseits und fehlender Niederschlag andererseits bringen nun das Moor in Bedrängnis. Der verstärkte Anbau von Nadelhölzern im vorigen Jahrhundert auf den umliegenden Hängen hat die Wasserzufuhr für die Senke genauso reduziert, wie der Bau der Zeltplatzstraße in den 1970er Jahren. In den Moränenzügen liegen Brunnen, welche die Seebäder mit Wasser versorgen. Trotzdem die Insel Usedom ein Defizit im Wasserangebot hat, steigt der Wasserverbrauch im Bereich der Seebäder massiv – der neue Trend „Wellness“ hat seinen Preis – und braucht noch mehr Wasser als bisher – Wasser, das in den Mooren und Seen Ostusedoms nun fehlt.

Wenn also bisher vom Mümmelkensee als dem einzigen Moor auf Usedom gesprochen wurde, in das der Mensch nie eingegriffen hat, so stimmt das heute nur noch bedingt. Unser allumfassender Nutzungsanspruch wirkt in verschiedenster Weise auf das empfindliche Ökosystem des Moores und verändert es – in wenigen Jahrzehnten stärker als in Jahrhunderten zuvor!

Was aber ist nun die Konsequenz aus den beobachteten Veränderungen, die dem Ziel so ganz zuwider laufen, mit dem der See vor über 50 Jahren unter Naturschutz gestellt wurde? Kurzfristig ändern lassen sich die dargestellten Gründe mit Sicherheit nicht – was also tun? Sollte man aktiv werden und mit Axt und Säge dem vordringenden Baumbestand Einhalt gebieten, und so die dem Standort angepasste Reaktion des Moores auf fehlendes Wasser versuchen auf zu halten? Oder sollte man – wie in all den Jahren zuvor – auf Eingriffe in das Moor verzichten und die Entwicklung weiterhin nur dokumentieren?

Nach heftigen Diskussionen hat man sich auf Letzteres geeinigt. Eine Fällung von Bäumen wäre in jedem Falle ein schwerwiegender Eingriff in ein vom Menschen direkt nie verändertes Moor. Zudem wäre der Mümmelkensee dann wohl ein „Pflegefall“, denn bei fehlendem Regen und Schnee müsste diese „Pflege“ regelmäßig wiederholt werden. Mit einer ungestörten Entwicklung des Moores und seiner Pflanzenwelt wäre es dann in jedem Falle vorbei.

Einst nur dem Eingeweihten bekannt, ist der Mümmelkensee heute ein beliebtes Ausflugsziel. Der Wander- und Radtourismus findet immer mehr Anhänger, der Wunsch nach aktiv erlebter Natur wird größer. Da bieten sich geführte Touren und Entdeckungen auf eigene Faust in die nahe Umgebung der Seebäder geradezu an. Allerdings ist der Naturtourismus durchaus eine zweischneidige Sache. Er verlangt seine eigene Infrastruktur, seien es Radwege, Aussichtstürme, Wanderwege oder Rastplätze. Bis Anfang der 1990er Jahre führte am Mümmelkensee ein locker auf dem Torfboden verlegter Bohlensteg vom Rand des Moores bis zum Schwingmoor, gefahrlos konnte man bis nahe an den See heran. Um das Moor zu schonen, wurde der Steg abgebaut – ohne eine Alternative anzubieten. In der Folge betraten die Besucher das geschützte Schwingmoor und standen buchstäblich mitten im (geschützten) Sonnentau. Je mehr Besucher, umso stärker die Schäden. Inzwischen sieht der - illegale – Zugang am Ostufer aus wie eine Viehtränke, der Torfboden ist schwarz, die Vegetation zertrampelt. Ein Beispiel dafür, wie gut gemeinte Absicht ins Gegenteil umschlagen kann! Inzwischen ist der Mümmelkensee auch als europäisches Schutzgebiet nach der FFH – Richtlinie der EU ausgewiesen worden, Indiz für seinen Wert als Ökosystem. Der Naturpark arbeitet derzeit daran, einen Steg für die Besucher des Schutzgebietes zu errichten, um Naturschutz und Naturerlebnis wieder in Einklang zu bringen.

Dirk Weichbrodt

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