Die interessante "rechte Seite" von Swinemünde

Die interessante "rechte Seite" von Swinemünde
Operationspläne für den "Dritten" Weltkrieg im Fort Gerharda
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Der rote Faden, der sich durch die knapp 250-jährige Geschichte von Swinemünde (Świnoujście) zieht, wird durch die Auswirkungen der verkehrsmäßig sehr günstigen, aber damit strategisch sensiblen Lage der Hafenstadt – im Scheitelpunkt der Pommerschen Bucht, dem am weitesten südlich gelegenen Abschnitt der Ostseeküste – bestimmt. Zwei Entwicklungen, die sich beide östlich der Swine, auf der „rechten Seite“, also auf der Insel Wollin in letzter Zeit ergeben haben, belegen das erneut. Einerseits haben die Experten des „Museums für Küstenverteidigung“, wie sich das 160 Jahre alte preußische Ostfort „Fort Gerharda“ im Untertitel nennt, nur wenige Kilometer östlich im Küstenwald versteckt, eine Anlage ausfindig gemacht, die zeigt, wie wichtig den Militärs des Warschauer Pakts dieser Standort war. Andererseits ist auf dem sandigen Areal neben dem Handelshafen und in der Ostsee vor Wollin ein nicht zu übersehender Industriekomplex entstanden, der für die Zukunft von strategischem Interesse ist – von energiepolitischem Interesse, denn die Anlagen die durch eine gigantische Mole ins Meer und zwei riesige Speicher dominiert werden, sind ein noch nicht ganz fertiges Flüssiggasterminal.

Jüngere Militärgeschichte

Die Entdecker des Militärobjektes, dessen Geheimnis jahrelang streng gehütet war, beschreiben es so: Ein in den Dünen verstecktes Netz unterirdischer Gänge mit einer Länge von fast einem Kilometer, Dutzenden von Räumen und mehreren großen Bunkern. Für das umzäunte Areal galt bis vor kurzem: „Militärisches Sperrgebiet – Zutritt verboten“. Aber seit Ende 2013 steht die gesamte Anlage unter den Fittichen des Museums für Küstenverteidigung. Seit Mai 2014 ist der Komplex, der ein Stück Militärgeschichte der letzten acht Jahrzehnte widerspiegelt, der Öffentlichkeit zugänglich.
Die ersten Stellungen wurden in deutscher Zeit von 1935 bis 1938 erbaut. Die Batterie „Vineta“, eine Marineartillerie-Schule, bestand aus vier großen Kampf- und Unterkunftsbunkern mit vier Langrohrgeschützen Kaliber 150 mm, einem Kommandobunker, einem Munitionslager und einem Maschinenraum. Diese Objekte bildeten die drittgrößte Küstenartillerie-Batterie an der pommerschen Küste. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs schossen die Geschütze nicht in Richtung Ostsee, sondern halfen den Vormarsch der Roten Armee zu Lande auf die Inseln Wollin und Usedom an der so genannten Dievenow-Front acht Wochen lang aufzuhalten. Schließlich wurden die Stellungen von den sich zurückziehenden deutschen Bedienungsmannschaften gesprengt – wie sich später zeigte, nicht endgültig.
Geschützunterbaus aus dem Zweiten WeltkriegVermutlich haben die Sowjets die Reste der Geschütze demontiert. Zurück blieben die weitgehend intakten unterirdischen Bunker. Dann übernahm das polnische Militär die Region und hatte zunächst keine Verwendung für die Anlagen. Es verfügte naturgemäß auch über keinerlei Unterlagen. Aber der Kalte Krieg brachte Verwendung. Die verschiedenen Bunker wurden in den 1950er Jahren durch ein System unterirdischer Gänge miteinander verbunden. Die Bunkerräume wurden renoviert und neu ausgestattet. Es entstand eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Kommandozentrale der Armee der Volksrepublik Polen, damals mit der Sowjetunion und der DDR im Bündnis des Warschauer Pakts. Diese „unterirdische Stadt“ war völlig autonom, mit Brunnen und Dieselgeneratoren. Im Kriegsfall hätte man monatelang ausharren können.
Es war eines der bestgehüteten Geheimnisse im Kalten Krieg. Auch General Jaruzelski soll es besucht haben. Heute kann man dort erfahren, wie sich die Warschauer-Pakt-Militärstrategen einen Dritten Weltkrieg vorstellten. Eine Karte in einem einstmals abhörsicheren Bunkerraum zeigt z.B., dass bei einem atomaren Erstschlag des Westens auch für Swinemünde mit einem Angriff gerechnet wurde.
Nach nuklearen Gegenschlägen sollten die polnische und tschechoslowakische Armee die Benelux-Länder und vor allem Dänemark besetzen, um die Durchfahrt der sowjetischen Ostseeflotte in die Nordsee zu sichern. Zwei Monate wurden für diesen Krieg veranschlagt. Der Besucher fühlt sich in eine irreale Gedankenwelt versetzt. Vergangenheit !?

Gegenwart – Gasversorgung weniger abhängig von Russland

Die alte, um 1820 errichtete Ostmole der Hafeneinfahrt nach Swinemünde gilt bis heute als längste Steinmole Europas. Seit knapp zwei Jahren umschließt sie von Südwest gemeinsam mit einer neuen – etwa 1000 Meter östlich ansetzenden – Betonmole von drei Kilometern Länge ein neues Hafenbecken vor dem westlichen Bereich der Außenküste der Insel Wollin. Der über die Ostsee weithin sichtbare Neubau ist jedoch keine gewöhnliche Mole. Es ist vielmehr ein rund zehn Meter breites Bauwerk, in dem unter anderem Rohrleitungen zur Landseite führen. Dort werden die Leitungen auf einer Art Hochtrasse zu gewaltigen Speichern geführt, die momentan kurz vor ihrer Fertigstellung stehen.
Der Bau des Terminals wurde 2009 beschlossen und ist der Versuch einer Antwort Polens auf die drängende Energiefrage. Das Land ist stark von Energieerzeugung aus Kohle abhängig, setzt deshalb auch auf Nuklearenergie und möchte sich gleichzeitig von russischem Erdgas unabhängig machen. In dem neuen Hafenbecken werden über 300 Meter lange Schiffe mit über 14 Meter Tiefgang ihre Flüssiggasladung löschen können. Das auf etwa minus 162 Grad Celsius gekühlte flüssige Erdgas (LNG) vom Persischen Golf wird in besonderen Wiederverdampfungsanlagen zur Einspeisung in das polnische Gasleitungsnetz aufbereitet.
Die Errichtung des LNG-Terminals hat 2011 die Polnische Erdölförderungs- und Gas-Aktiengesellschaft (PGNiG, Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A.) begonnen und wird von Polskie LNG fortgeführt. Die Baukosten werden mit 750 Millionen Euro veranschlagt. Trotz der Investitionssumme und des Energieverbrauchs beim Bau des Terminals – für den Bau der Packlager vor der Mole kam z.B. in großer Menge Granit aus Skandinavien zum Einsatz – beim Verflüssigen, beim Transport und beim Wiederverdampfen dürfte sich insgesamt die Investition für Polen rechnen. Naturgemäß waren nicht alle in Swinemünde über diese Industrieanlage begeistert, aber angesichts der Ukraine-Krise fühlt man sich verständlicher Weise bestätigt. Ab Anfang 2015 sollen die Gastanker ihre Fracht anlanden.

Text: Wolfgang Abraham
Fotos © Fort Gerharda

Datum: 21.07.2014

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